Wie Winti zum Licht kam (Helena Brügger, 12, Winterthur)
Es war eine Nacht wie immer in den letzten Tagen, es war kalt und der Wind pfiff an den Fenstern. Familien zogen sich in ihre Häuser zurück und schlossen ihre Türen. Ganz wenige Leute waren noch auf Wintis Gassen, nachdem die Ladenbesitzerinnen der Altstadt ihr Geschäft geschlossen hatten, hasteten sie zügig nach Hause, um rechtzeitig das Abendessen zu bekommen. Alle hatten es eilig und niemand hatte Lust, noch länger Zeit in den dunklen nassen Strassen zu verbringen.
Der Schnee wurde immer dichter und der Wind immer eisiger. Jeden Morgen, wenn die Leute ihre Zeitung aufschlugen, hofften sie, die Schlagzeilen «Kein Schneefall mehr» oder «fertig mit Eis» lesen zu können, aber stattdessen lasen sie nur von Zugausfällen aufgrund von gefrorenen Schienen oder dass der Bodensee erstmals ganz zugefroren war. Nur die Hoffnung auf endlich weisse Weihnachten hielt Winti einigermassen in Stimmung.
Doch nach einigen Wochen, es war Mitte Dezember, kam so ein grosser Schneefall, dass man bereits die eigene Haustüre nicht aufmachen konnte. Es war so eiskalt, dass nicht einmal im Haus genug Wärme war und das Kaminfeuer nicht lange hielt. Der Strom fiel aus und Winti lag in völliger Dunkelheit. Die Leute traten mit kleinen Laternen aus ihren Häusern und fragten, was los sei. Jeder begann jeden zu beschuldigen und zu beschimpfen für den Stromausfall. Die Hoffnungen auf ein schönes Weihnachtsfest waren längst verblasst. Alle verriegelten missmutig ihre Haustüren und kamen nicht mal, wenn sie Hunger hatten, hinaus. Die Gemeinschaft schien verloren zu sein. Nur eine alte Dame, die niemand zuvor gesehen hatte, schien noch an die Gemeinsamkeit zu glauben. Sie klopfte an alle Türen der Bewohner der Altstadt und überzeugte jeden einzelnen, sich bei der Stadtkirche zu treffen. Die Dame hatte silbernes Haar, einen leicht gebeugten Rücken und kurze Beine, die sie mit einem schönen hölzernen Stock stützte. Sie trug einen dicken Pelzmantel und einen seidenen Schal. Sie besass eine wunderschöne Ausstrahlung. Die Frau trat in die Mitte der Gesellschaft (genau dort, wo später dann einmal Erwin Schatzman seine Bank platzieren wurde) und sprach zu den Menschen, ohne sich vorzustellen: «Es ist kalt und der Schnee scheint uns zu erdrücken, es ist dunkel und es gibt kein Licht und ihr alle zieht euch zurück und vergesst, dass in drei Tagen Weihnachten ist. Wenn wir wollen, dass hier an Heiligabend Licht herrscht, dann müssen wir uns zusammentun. «Gemeinsam finden wir bestimmt eine Lösung. Ist das nicht das, was Weihnachten ausmacht?».
Die Worte der Frau lagen in der Luft und niemand sprach. Es herrschte einfach nur Stille.
«Aber Oma, wie ging es dann weiter, wurde jetzt alles wieder gut?»
«Lass mich doch erst noch fertig erzählen, du wirst gleich erfahren, was dann passierte!
«Also:»
Jemand begann zu klatschen und plötzlich alle zu jubelten. Die Frau lächelte. Man begann Zwergknäueling, eine Pilzart, die im Dunkeln leuchtet und die man sogar im Winter fand, an einem Draht aufzufädeln und daraus Sterne zu formen. Als der erste Versuch fertig war und wirklich ein wundervoller Stern die Stadt erleuchtete, waren alle überglücklich und sie bastelten einen nach dem anderen. Am Heiligabend waren sie fertig und hängten die Sterne an den Häusern auf und ganz Winti leuchtete hell. Alle Einwohner versammelten sich und wollten der lieben, alten Dame danken, die sie gelehrt hatte, wie wichtig die Gemeinschaft war doch die Dame tauchte nicht auf sie entdeckten nur im Schnee die spuren ihres Stockes so wollten sie die Sterne als Erinnerung an die Dame deren Namen sie nie kennenlernen würden und an die Gemeinschaft die Weihnachtssterne jedes Jahr aufhängen, wie wir es heute noch tun. Sie sangen zusammen Weihnachtslieder, die die Kälte vergessen liessen und tranken Glühwein. Kein einziger von ihnen würde die Frau je vergessen. Seit dem Tag waren sie alle bis heute eine Gemeinschaft und das wird Winti für immer sein.
«Das ist ja ein wunderschönes Ende. Ist das alles echt passiert, Oma?»
«Ich weiss es nicht, die Geschichte hat mir einst mein Grossvater erzählt und jetzt habe ich sie euch erzählt.»
«Und ich werde sie bestimmt auch meinen Enkeln weitererzählen!»