Anfang Oktober schrieb die Junge Altstadt einen Wettbewerb aus. Gesucht wurde die schönste Geschichte zur Winterthurer Weihnachtsbeleuchtung, da diese vor 70 Jahren erstmals im Untertor eingeschaltet wurde. Bis am 27. Oktober gingen 21 Geschichten ein, darunter auch zwei handgeschriebene per Post. Die jüngste Schreiberin ist 12, die älteste über 90 Jahre alt. Die Geschichten handelten beispielsweise von Kindheitserinnerungen in ehemaligen Altstadt-Geschäften, streikenden Lämpchen und geheimnisvoll leuchtenden Pilze. Viele Geschichten waren sehr persönlich, originell und gut geschrieben. Jene von Helena Brügger aus Oberwinterthur, Ursula Cavelti aus Winterthur-Seen und Christine Nüesch aus Neftenbach gefielen der Jury* besonders. Die drei haben den Wettbewerb gemeinsam gewonnen und am Freitag, 15. November um 18 Uhr den magischen roten Knopf für die Weihnachtsbeleuchtung drücken dürfen. Ihre Geschichten finden Sie weiter unten veröffentlicht.

*Jury Geschichten-Wettbewerb Weihnachtsbeleuchtung: Bea Linder, Geschäftsführerin Junge Altstadt; Jennifer Gilg, Präsidentin Untertor-Vereinigung und Annette Saloma, Redaktorin ‘Der Landbote’

Allg. Infos zur Winterthurer Weihnachtsbeleuchtung

Ursula Cavelti, Helena Brügger und Christine Nüesch haben am 15. November den lichtbringenden Knopf gedrückt. Foto: Enzo Lopardo

Gewinnerinnen Geschichten-Wettbewerb


Die streikende Weihnachtsbeleuchtung (Ursula Cavelti, 73, Winterthur)

Es war wieder vor Weihnachten und die Kisten mit den Girlanden für die Weihnachtsbeleuchtung standen schon seit Wochen bereit. Die Lämpchen waren schon aufgeregt, dass sie wieder die Stadt beleuchten dürfen.

Doch eines der Lämpchen sass traurig in der Ecke der Kiste. «Was ist mit dir los?», fragten die anderen Lämpchen. «Ich bin traurig, weil es immer mehr Menschen gibt, die uns nicht mehr so richtig wahrnehmen. Sie laufen durch die Gassen und schauen nur noch auf ihre Handys.» Das sprach sich in den Kisten schnell herum. «Wollen wir mal streiken?», flüsterte ein anderes Lämpchen. «Ja, das wäre was, das machen wir! Mal sehen, ob die Menschen es bemerken».«

Und so geschah es. Die Monteure holten die Kisten ab und montierten in schwindelnder Höhe die Lichter. Am Abend waren sie sehr zufrieden mit ihrem Werk und sie freuten sich auf dem besonderen Tag, so wie vor 70 Jahren, als sie zum ersten Mal leuchteten. Die Spannung stieg bis zum grossen Tag.

Da kam der Tag, als alle Lichter leuchten durften. Die Kirchenuhr schlug gerade 18 Uhr und alle waren bereit für den grossen Augenblick der Adventsbeleuchtung. Doch nichts geschah. Stumm vor Schreck standen die Monteure da und verstanden die Welt nicht mehr. «Wir haben doch alles richtig gemacht», sagte der eine zum anderen und schüttelte den Kopf. «Wie konnte das passieren?» Alle waren ratlos.

Auch viele Schulkinder wollten die Beleuchtung sehen und standen mit ihren Lehrerinnen sprachlos herum, schauten nach oben, doch es blieb dunkel.

Da passierte etwas Besonderes. Ein Mädchen, das traurig guckte, sprach zur Lehrerin: «Wenn wir laut ein Lied vom Licht singen, dann könnte doch ein Wunder geschehen.» Alle machten grosse Augen. «Wir können es ja versuchen», sagte ein anderes Mädchen. Und so stimmten sie das Lied vom Licht an, das sie vor Wochen in der Schule gelernt hatten: «Advent, Advent ein Lichtlein brennt.»

Mit glänzenden Augen sangen sie laut und schauten zu den Lichtern empor. Immer mehr Menschen sangen mit und eine wundersame Stimmung breitete sich in der Stadt aus. Sogar die jungen Leute blieben stehen, steckten ihre Handys in die Hosentaschen und blieben andächtig stehen. Alle sangen immer lauter. Es war mystisch in den Gassen. Und siehe da, das Wunder geschah, plötzlich gingen alle Lichter an und alle Menschen klatschten in die Hände. Bei manchen konnte man eine Träne sehen, so ergriffen waren sie. Die Kinder freuten sich und ihre Augen leuchteten besonders hell. Die Kinder sangen weiter und liefen durch die Gassen, um die Menschen zu erfreuen.

Doch ein Lämpchen leuchtete besonders hell und lächelte. «Seht ihr, auch kleine Wunder können Grosses bewirken.» Den Menschen wurde es warm ums Herz, die besinnliche Zeit konnte nun beginnen.

Wie Winti zum Licht kam (Helena Brügger, 12, Winterthur)

Es war eine Nacht wie immer in den letzten Tagen, es war kalt und der Wind pfiff an den Fenstern. Familien zogen sich in ihre Häuser zurück und schlossen ihre Türen. Ganz wenige Leute waren noch auf Wintis Gassen, nachdem die Ladenbesitzerinnen der Altstadt ihr Geschäft geschlossen hatten, hasteten sie zügig nach Hause, um rechtzeitig das Abendessen zu bekommen. Alle hatten es eilig und niemand hatte Lust, noch länger Zeit in den dunklen nassen Strassen zu verbringen.

Der Schnee wurde immer dichter und der Wind immer eisiger. Jeden Morgen, wenn die Leute ihre Zeitung aufschlugen, hofften sie, die Schlagzeilen «Kein Schneefall mehr» oder «fertig mit Eis» lesen zu können, aber stattdessen lasen sie nur von Zugausfällen aufgrund von gefrorenen Schienen oder dass der Bodensee erstmals ganz zugefroren war. Nur die Hoffnung auf endlich weisse Weihnachten hielt Winti einigermassen in Stimmung.

Doch nach einigen Wochen, es war Mitte Dezember, kam so ein grosser Schneefall, dass man bereits die eigene Haustüre nicht aufmachen konnte. Es war so eiskalt, dass nicht einmal im Haus genug Wärme war und das Kaminfeuer nicht lange hielt. Der Strom fiel aus und Winti lag in völliger Dunkelheit. Die Leute traten mit kleinen Laternen aus ihren Häusern und fragten, was los sei. Jeder begann jeden zu beschuldigen und zu beschimpfen für den Stromausfall. Die Hoffnungen auf ein schönes Weihnachtsfest waren längst verblasst. Alle verriegelten missmutig ihre Haustüren und kamen nicht mal, wenn sie Hunger hatten, hinaus. Die Gemeinschaft schien verloren zu sein. Nur eine alte Dame, die niemand zuvor gesehen hatte, schien noch an die Gemeinsamkeit zu glauben. Sie klopfte an alle Türen der Bewohner der Altstadt und überzeugte jeden einzelnen, sich bei der Stadtkirche zu treffen. Die Dame hatte silbernes Haar, einen leicht gebeugten Rücken und kurze Beine, die sie mit einem schönen hölzernen Stock stützte. Sie trug einen dicken Pelzmantel und einen seidenen Schal. Sie besass eine wunderschöne Ausstrahlung. Die Frau trat in die Mitte der Gesellschaft (genau dort, wo später dann einmal Erwin Schatzman seine Bank platzieren wurde) und sprach zu den Menschen, ohne sich vorzustellen: «Es ist kalt und der Schnee scheint uns zu erdrücken, es ist dunkel und es gibt kein Licht und ihr alle zieht euch zurück und vergesst, dass in drei Tagen Weihnachten ist. Wenn wir wollen, dass hier an Heiligabend Licht herrscht, dann müssen wir uns zusammentun. «Gemeinsam finden wir bestimmt eine Lösung. Ist das nicht das, was Weihnachten ausmacht?».

Die Worte der Frau lagen in der Luft und niemand sprach. Es herrschte einfach nur Stille.

«Aber Oma, wie ging es dann weiter, wurde jetzt alles wieder gut?»

«Lass mich doch erst noch fertig erzählen, du wirst gleich erfahren, was dann passierte!

«Also:»

Jemand begann zu klatschen und plötzlich alle zu jubelten. Die Frau lächelte. Man begann Zwergknäueling, eine Pilzart, die im Dunkeln leuchtet und die man sogar im Winter fand, an einem Draht aufzufädeln und daraus Sterne zu formen. Als der erste Versuch fertig war und wirklich ein wundervoller Stern die Stadt erleuchtete, waren alle überglücklich und sie bastelten einen nach dem anderen. Am Heiligabend waren sie fertig und hängten die Sterne an den Häusern auf und ganz Winti leuchtete hell. Alle Einwohner versammelten sich und wollten der lieben, alten Dame danken, die sie gelehrt hatte, wie wichtig die Gemeinschaft war doch die Dame tauchte nicht auf sie entdeckten nur im Schnee die spuren ihres Stockes so wollten sie die Sterne als Erinnerung an die Dame deren Namen sie nie kennenlernen würden und an die Gemeinschaft die Weihnachtssterne jedes Jahr aufhängen, wie wir es heute noch tun. Sie sangen zusammen Weihnachtslieder, die die Kälte vergessen liessen und tranken Glühwein. Kein einziger von ihnen würde die Frau je vergessen. Seit dem Tag waren sie alle bis heute eine Gemeinschaft und das wird Winti für immer sein.

«Das ist ja ein wunderschönes Ende. Ist das alles echt passiert, Oma?»

«Ich weiss es nicht, die Geschichte hat mir einst mein Grossvater erzählt und jetzt habe ich sie euch erzählt.»

«Und ich werde sie bestimmt auch meinen Enkeln weitererzählen!»

Ausflug in die Grossstadt (Christine Nüesch, 69, Kollbrunn)

«Ich bin mit vier Schwestern in Wiesendangen aufgewachsen und war die jüngste von uns fünf Mädchen. In unserer Nachbarschaft lebte eine ältere Frau. Ich nenne sie Frau Weber. Sie war verwitwet und kinderlos. Ihre Liebenswürdigkeit zog uns Kinder an. Wir waren bei ihr immer willkommen zum Spielen, Basteln, Geschichten Hören und vieles mehr.

In die nahe Stadt Winterthur kam ich nur selten. Aber in der Adventszeit, wenn die schönste aller Weihnachtsbeleuchtungen Winterthur in eine wunderschöne Weihnachtsstadt verwandelte, durften wir mit Frau Weber mit dem Zug nach Winterthur zum «Liechtliluege». Das war ein Erlebnis. Beim Graben stand noch eine riesengrosse Tanne, geschmückt mit grossen Christbaumkugeln und einer Lichterkette. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus.

Beim Franz Carl Weber haben wir die Schaufenster bestaunt. In einem der Schaufenster hatte es immer etwas Besonderes. Ein Spielzeugbär, der in einer Teigschüssel rührte, oder eine elektrische Eisenbahn, die durch die ausgestellten Spielsachen fuhr. Das war anfangs der 1960er-Jahre. Fernseher waren da noch selten. Deshalb haben mich wohl diese Schaufenster so fasziniert. Und immer wieder schaute ich hoch zu der Weihnachtsbeleuchtung, die einfach soooo schön war.

Mit der Zeit bekamen wir etwas kalte Füsse und wir durften mit Frau Weber einkehren, wie man damals sagte. Im Café Kränzlin bekamen wir mitten im Winter ein Orangina. Das war ein Fest und die Patisserie dazu machte unsere Freude nahezu vollkommen. Aufgewärmt und gestärkt zogen wir nochmals los und standen dann vor dem Merkur. Dieser Laden war für mich fast das Paradies. Was man da alles kaufen konnte! Schokolade, Weihnachtsguetzli, Christbaumschöggeli, Pralinen und noch vieles mehr. Aber was mein Kinderherz wirklich höher schlagen liess, waren Schokoladepüppchen, die in einen Schlafsack aus Krepp-Papier eingebettet waren.

Wir durften uns etwas aussuchen aus diesem Schlaraffenland. Und natürlich entschied ich mich für ein Schoggipüppchen. Ich glaube, ich war das glücklichste Kind, als ich mit diesem Püppchen aus dem Laden kam. Es war ja kalt und ich konnte es gut in den Händen halten, ohne dass es schmolz. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, es zu essen. Das musste ich unbedingt nach Hause nehmen und meinen Eltern zeigen und dann bekam es noch für ein paar Tage einen Platz auf meinem Nachttischchen, bis ich es dann doch irgendwann ass.

Alles hat ein Ende. So auch unser Ausflug in die weihnachtliche Stadt Winterthur. Frau Weber meinte, wir sollten uns nun noch so richtig sattsehen an der schönen Beleuchtung und dann sei es Zeit, wieder zum Zug zu gehen. Ich war müde, aber glücklich und zufrieden. Mit meinem Püppchen in den Händen trippelte ich mit meinen Schwestern und Frau Weber zum Bahnhof, wo der Romanshorner bereits auf uns wartete.

Im warmen Zugabteil überkam mich eine Müdigkeit, gegen die ich mich nicht wehren konnte. Ich schlief ein und träumte, dass ich fliegen konnte und zu den Weihnachtsbeleuchtungen hinauf flog. Ich setzte mich in einen Stern und schaukelte hin und her und betrachtete das Treiben unter mir auf der Strasse. Ich war glücklich. Doch leider hielt dann der Zug in Wiesendangen an und ich wurde von meinem Stern heruntergeholt. Dafür waren dann die Erinnerungen an den erlebnisreichen und schönen Nachmittag wieder da und sie begleiteten mich auch noch durch die kommenden Tage.»

Weitere vier Geschichten, die es in die Vorselektion geschafft haben

Weihnachtsgedicht (von Marianne Schneeberger)

Schon von der Römerstrasse her,
seh ich das Weihnachtslichtermeer.
Der Sternenvorhang tut sich auf,
zum weihnachtlichen Jahreskauf.
Es ist der Schönste weit und breit,
noch besser ist es, wenn es schneit.
Viele hundert Lichter glänzen hell,
die Menschen frieren, gehen schnell.
Der Himmel auf die Erde fällt,
in dieser Weihnachtslichterwelt.
Das Stadthaus ist im Waldestraum,
steht kerzenreich ein Tannenbaum.
Der Graben sieht sehr friedlich aus,
Girlanden, Sterne vor dem Haus.
Die Bäume wiegen sich im Wind,
als winkten sie dem Christenkind.
Der Rössliwagen kommt daher,
Schneeflocken fallen nass und schwer.
Mit Mantel, Rute, Sack und Bart,
der Nikolaus in voller Fahrt.
Die Steibi ist ein Friedensort,
Maria, Josef stehen dort.
Die Häuser schmuck mit Lichterketten,
sie scheinen hell in alle Betten.
Die Könige stehn still und stumm,
die Kinder jauchzen drumherum.
Schaf und Kamele gibt es auch,
so wills der alte Weihnachtsbrauch.
Ein tannengrüner Lichterkranz,
lädt ein zum grossen Wiehnachtstanz.
Diese goldne Sternenspur,
gibt es nur in Winterthur.

 

Die magischen Sterne über Winterthur (Christian Bodenmann)

Da grinsen sie einem schon entgegen. In etlichen Regalen, in jedem Laden. Von der Migrolino-Tankstelle über den Denner bis zum Manor. In schillernden Farben und ausdrucksstarken Posen stehen sie da. Sie alle haben eine Mission: Möglichst früh den Zahlungsfreudigen besinnlich die Schokoladengelüste zu stillen und in das Advents-Dopamin-High zu stürzen.

Trotz der ganzen Vielfalt der süssen Stimmungsmacher bleibt mir die Feierlichkeit schier im Halse stecken – es ist schliesslich erst Mitte Oktober und obwohl man feststellen kann, dass die Schokoladenweihnachtsmänner vor Body Positivity nur so strotzen und mir die Extraportion Zucker sicherlich nachsehen würden, stellt sich ein hartnäckiger, innerer Widerstand gegen die süsse Versuchung ein. 

Die frühen Boten des Winterwunderlands haben wahrlich einen schweren Stand bei mir, solange Gassen und Wege noch von dicken Nebelschwaden blockiert werden und von buntem Laub gesäumt sind. Auch die nächste adventliche Begleiterscheinung drückt sich schon bald unweigerlich ins Bewusstsein, wenn die ersten Anfragen von Freunden und Verwandten eintreffen. Wann sieht man sich wieder? Bei welchem Familienschlauch ist es unabdingbar, auch ein Teil davon zu sein? Wie teilt man die Organisation am besten auf? Und was ist erst mit den Geschenken? Wie so oft stellt die Ferienzeit und insbesondere die Zeit zwischen den Jahren die Planungskompetenz auf eine harte Probe und bringt den Kalender zum Glühen. Daran ändern auch die blinkenden Lichterketten nichts, die wie von einem unsichtbaren Netzwerk koordiniert an den verschiedensten Orten fast zeitgleich aufpoppen, gerne in Begleitung von Tannenzweigen aus Plastik oder von so dicken wie bärtigen Männern, die auf Leitern einen Balkon oder eine Hauswand erklimmen.

Doch weder die omnipräsenten Weihnachtszeits-Jahrtausendhits noch der Verzehr des ersten Zimetstern versetzen mich in den ominösen Zustand einer grundzufriedenen Entspanntheit, den es im Advent zu erreichen gilt. Dies gelingt nämlich nur einigen ganz bestimmten, nicht blinkenden Lichterketten. Sobald ich die Glühbirnen-Sterne bei meiner täglichen Durchquerung des Oberen Grabens entdecke, macht mein Herz einen Freudensprung und zieht sich ganz behutsam eine rote Kappe mit weissem Bommel an. Ein Gefühl, das ich aus den frühsten Erinnerungen kenne, macht sich im Innersten breit, wie das Knistern eines Kaminfeuers im Ohr oder der Duft eines wärmenden, wohlriechenden Tees mit einem auf der Oberfläche dahin treibenden Streifen frischer Orange in der Nase an einem kalten Tag.

Um ein Vielfaches wird dieses Gefühl noch gesteigert, wenn die geschweiften Sterne dann tatsächlich auch ihr Licht verteilen und nicht nur die Altstadt erleuchten, sondern ihre Strahlen auch in den besinnlichen Teil der menschlichen Seele werfen. Plötzlich animieren mich die Ohrwürmer im Radio zum Mitsingen, ich beantworte alle offenen Anfragen auf ein Weihnachtstreffen und quelle über vor tollen Ideen, wie man die gemeinsame Zeit am besten verbringen kann. Zuhause angekommen durchsuche ich den Keller, um die für den Rest des Jahres viel zu kitschige Deko zu finden und melde mich gleich an, dieses Jahr wieder ein Adventsfenster im Quartier zu machen. Gleichzeitig schwirren Geschenkideen, Guetzlirezepte und Samichlausversli durch meinen Kopf. Ich gebe mich der Vorweihnachtsstimmung hin und lasse mich im warmen Teich aus Glückseligkeit, Vorfreude und Geborgenheit treiben, über dem Schoko-Samichläuse auf Rentier-Guetzliformen über einer verschneiten Landschaft mit Lebkuchenhäuschen und glitzernd dekorierten Fichten durch einen Himmel ziehen, der von etlichen Sternen beleuchtet wird, die beinahe so prachtvoll leuchten wie diejenigen aus Glühbirnen, welche über der Altstadt schweben und dabei nicht nur mir sondern ganz Winterthur ein wohliges Gefühl schenken und beim Durchqueren der Stadt den Blick nach oben schweifen lassen.

 

Bethlehem am Untertor 1954 – Mein tief eingeprägtes Erinnerungsbild (Lotti Widmer-Gasser)

Es ist eine kalte, dunkle Nacht im Dezember 1954 am Untertor. Die frisch verschneite Marktgasse ist erhellt von der ersten neuen Weihnachtsbeleuchtung. Einzelne Schneeflocken tanzen im Licht. Es verbreitet sich eine märchenhafte Stimmung.

Mitten in der Marktgasse steht ein älterer Mann mit einem Kinderwagen. Er bemüht sich, das kleine Kind im Wagen so zu platzieren, dass es die Beleuchtung gut sehen kann. Dieser Mann ist mein Vater. Früher hätte er nie einen Kinderwagen gestossen. Das war Frauensache. Doch jetzt ist es anders. In diesem Jahr, 1954, ist er Grossvater geworden.

Er will unbedingt die neuen Sternen-Beleuchtung seinem ersten Grosskind zeigen. Darum hat er das Kind im Kinderwagen mit grossem Stolz durch den Schnee zum Untertor gestossen, wo ich, die Mutter des Kindes, auf die beiden gewartet habe.

Zu dritt stehen wir mitten in der Gasse und bestaunen die neue Weihnachtsbeleuchtung. Das Kind im Wagen lacht und quietscht, streckt die Ärmchen dem Licht entgegen, als wollte es die Sterne greifen. Seine Augen strahlen und auf seinem Gesicht widerspiegelt sich der Glanz der Lichter.

Auch wir lachen und freuen uns, strecken die klatschenden Hände dem Kind entgegen und stimmen ein Weihnachtslied an. Drei Generationen, Kind, Mutter und Grossvater, in der kalten Dezembernacht, erwärmt vom Weihnachtslicht, dankbar staunend und angesteckt von der Freude des lachenden Kindes. Fast wie Betlehem.

Dieses Bild hat sich mir tief eingeprägt und mich ein Leben lang tröstlich begleitet. Jetzt ist 2024.70 Jahre sind seither vergangen. Der Grossvater ist längst gestorben, das Kind ist 70 Jahre alt, Mutter und Grossmutter geworden und ich, die Urgrossmutter, zähle 96 Jahre. Seit 70 Jahren stehe ich fast jedes Jahr an der gleichen Stelle in der Marktgasse im Dezember, wenn die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet ist, dankbar, staunend und mit dem tief eingeprägten Erinnerungsbild an mein Betlehem am Untertor 1954.

 

Es werde Marktgasse (Daniel Cojocaru)

17. Dezember 1983

Warmes Licht umschmiegt meine kalten Wangen. Ein sanftes Holpern versetzt mich in einen wohlig-schläfrigen Zustand. Ich tauche in meinem schwarz-weissen Sternenbuggy in ein dunkles Stimmenmeer. Der feucht-fuselige Geschmack meines Jackenärmels lässt mich dösen. Der Duft von gebranntem Zucker erfüllt den Traum meines erstmalig aufflackernden Ichs.

Ein Gerüst von ergänzenden Eindrücken späterer Jahre umgarnt diesen ersten Rohbau des Werdens. Die einladenden Schaufenster der Geschäfte. Der bunt verpackte Teddy, der unter dem Weihnachtsbaum zum Knuddeln auf mich wartet. Pappbecher wärmenden Glühweins, die durch stoffbehandschuhte Finger zu gleiten drohen. Die brennende, durch dieleichte Linkswendung der Winterthurer Marktgasse verschobene, Sternenreihe glänzender Glühbirnenfassungen. Ein Fleckchen Licht im dunklen Universum.

3. Dezember 1997

Wieso lasse ich mich von meinen Alten hierher schleppen? Immer dieser Kommerz. Aber sonst zahlen sie mir die Fahrstunden nicht. Voll unfair. Ich laufe einen halben Meter hinter meinen Eltern und meiner kleinen Schwester her. Sie sollen nicht merken, dass ich in meinem offenen Flanellhemd schlottere. Wie soll man denn sonst mein Nirvana-Shirt sehen? Winti ist so lame. Obwohl – die Musikfestwochen haben voll gerockt. Hinter meiner blauschwarz gefärbten Haarwand erahne ich den Schneeschmelzglanz des Kopfsteinpflasters. Mein Blick wandert zu den auf je vier geschwungenen Lichterketten ruhenden Sternenlichtern. Einfach nur Stromverschwendung.

Aus Richtung Stadtkirche ertönt «Stille Nacht». 700 Millionen Jahre war das Universum dunkel. Dunkelheit rockt. Durchs Menschengedränge sehe ich in einem Schaufenster einen mir bekannt vorkommenden Teddy. Der Geruch von gebrannten Mandeln steigt mir in die Nase. Plötzlich werde ich von hinten umarmt. Meine Schwester blickt mich von der Seite an und streckt mir einen Sack Mandeln ins Gesicht. «Wotsch au?» Eigentlich schon. Doch ich schüttle meinen Kopf. Sie hängt ihren Arm bei mir ein und wir laufen zusammen weiter.
Licht kommt aus der Dunkelheit. Es ist doch ganz okay hier. Soll aber ja niemand mitbekommen. Ich merke erst später, dass ich den halben Sack Mandeln verputzt habe.

 25. November 2010
«Ääääääääääääeeeeeeeeeiiiiiiiigggghhh!!!» Buchstaben werden dem endlosen Schreien meiner zwei Monate alten Tochter nicht gerecht. Ich wippe im Kreis auf und ab an der Ecke Marktgasse/Schmidgasse. Der leichte Nieselregen hat keinerlei dämpfende Wirkung auf das Geschrei. Meine Kleine versucht sich mit aller Kraft aus der Traghilfe zu werfen und rammt ihre nach Babypuder riechende Glatze wie ein deutlich zu klein geratenes Mitglied einer Bikergang in meinen Brustkorb.
Nur mal kurz ein paar Kleinigkeiten shoppen wollte meine Frau. Ist sicher schon eine halbe Stunde her. Drei Minuten siebenunddreissig sagt meine Uhr. Zum Glück hat es noch nicht so viele Leute am späten Nachmittag. Doch ich fühle die anklagenden Blicke der wenigen vorbei rauschenden Passanten. Ich möchte in der Dunkelheit verschwinden. Meine Tochter verstummt und reckt ihren Kopf gen Himmel. Ein butterweiches Leuchten spiegelt sich in ihren eisblauen Augen. Ich folge ihrem Blick. Die Sterne der nun eingeschalteten Beleuchtung reflektieren ruhig unsere Umrisse. Als ob meine Tochter und ich dadurch überhaupt erst ins Leben gerufen würden. «So schöni Liechtli!» flüstere ich ihr ins Ohr. Auf einmal möchte ich sichtbar sein. Während mein süsses Häuflein Mädchen weiterhin fasziniert die Lichter betrachtet, werden meine ziellosen Kreisschritte fester und klopfen eine klare Botschaft auf den feuchten Stein. «Lueged mal, wie guet ich mis Meitli beruhige chan!» Solange die Weihnachtslichter leuchten, kann sich meine Frau ruhig Zeit lassen.

15. November 2024, 17:59
Nervös blicke ich auf die noch dunklen Sterne und Girlanden über der wartenden Menschenmenge. Fünf Tage dauerte die Installation der über 40 Sterne, die in den nächsten Wochen die Marktgasse und tausende Lebensgeschichten erleuchten werden: kleine Menschen, in einer kleinen Gasse, in einer grossen Milchstrasse, in einem immensen, dunklen Universum. Ein Baby beginnt zu schreien. In einigen Augenblicken wird alles gut. Meine Hand umklammert den Schalter. All unsere Geschichten so scheinbar unbedeutend im dunklen All erscheinen bedeutend im hellen Glanz. Ich kippe den Schalter.

Es werde …